BERLIN (dpa-AFX) - Die Ampel zieht zermürbt vom Dauerstreit und ohne Aussicht auf Besserung in den Herbst. "Die FDP provoziert, weil sie verzweifelt versucht, sich zu profilieren", sagte SPD-Chefin Saskia Esken der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Ich habe wenig Hoffnung, dass sich daran noch etwas ändert."
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zeigte sich angesichts des Verhaltens von FDP-Chef Christian Lindner ratlos. "Ich verstehe ihn mittlerweile immer weniger", sagte er der "Bild am Sonntag". "Ich weiß nicht, was er vorhat." Lindner und der FDP wird seit Monaten vorgeworfen, eine Art Oppositionskurs innerhalb der Koalition zu fahren und wichtige Vorhaben zu blockieren. Merz warf den Liberalen "politischen Selbstmord" vor.
FDP will Ampel-Beschlüsse oder neue Dynamik
Die jüngsten Wahlniederlagen haben die Liberalen erschüttert. Die FDP unter Lindner bereite parallel vor, in der Ampel zu bleiben und aus der Ampel auszusteigen, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
Zu Äußerungen aus der FDP über ein mögliches Verlassen der Ampel um Weihnachten herum hatte Lindner am Tag nach der Brandenburg-Landtagswahl gesagt, von allen werde jetzt Mut verlangt: entweder Mut, auch in einer kontroversen Koalition Arbeit zu leisten, wenn Gutes fürs Land bewegt werden könne, oder Mut, Konsequenzen zu ziehen, wenn man die Grenzen des Möglichen erreiche. "Dann ist Mut, eine neue Dynamik zu entfachen, so der FDP-Chef.
Esken kritisierte, dass Lindner mehrfach einen "Herbst der Entscheidungen" angekündigt hatte. "Dieses Jonglieren mit Daten und Ultimaten ist Ausdruck einer Spielernatur, die mit verantwortungsvoller Politik nichts zu tun hat", sagte sie. Appelle schienen nicht zu greifen. "Dennoch baue ich auf das Verantwortungsgefühl der Koalitionspartner, die Vorhaben, die wir uns in dieser Legislatur vorgenommen haben, noch umzusetzen und dafür zu sorgen, dass unser Land einen Aufbruch schafft."
Ampel ermahnt: Nicht mit Regieren aufhören
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mahnte die Ampel-Partner in "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten": "Ein Jahr vor der Wahl ist zu früh, um mit dem Regieren aufzuhören." Der Sozialverband Deutschland verlangt von der FDP, sich bei der geplanten Rentenreform nicht länger querzustellen. "Wir fordern die FDP auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben und eine zügige Umsetzung dieses wichtigen Gesetzes zu unterstützen", sagte die SoVD-Vorstandschefin Michaela Engelmeier der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Scholz hat "keine Zeit" für Wahlkampf
Für die SPD stellte Parteichefin Esken klar: "Olaf Scholz ist unser Kanzler, und er ist unser Kanzlerkandidat, mit dem wir in die Wahl gehen. Da gibt es in der Partei eine große Geschlossenheit." Olaf Scholz führe - "und zwar in einem Stil, der unseren Zeiten angemessen ist".
Esken lobte Boris Pistorius als "großartigen Verteidigungsminister". Pistorius bekommt in Umfragen deutlich mehr Zuspruch als Scholz. Er gilt als denkbare Alternative für die Kanzlerkandidatur. Esken sagte: "Er hat sich mit seiner erfolgreichen Arbeit einen Namen gemacht und in diesem schwierigen Ministerium Führungsstärke gezeigt."
SPD-Chef Lars Klingbeil bekräftigte in einem Video-Interview der Deutschen Presse-Agentur, dass Scholz erst auf dem SPD-Parteitag im Juni 2025 nominiert werden soll. Grund: "Weil Olaf Scholz gerade gar keine Zeit für Wahlkampf hat." Scholz sei "jetzt erst mal nicht in der Rolle des Wahlkämpfers", sondern "in der Rolle der Person, die gerade dieses Land führt".
Eine Neuaufstellung der SPD hält Esken auch nach der Rückzugsankündigung der Grünen-Spitze für unnötig. Auf die Frage, ob es beim Trio Scholz, Esken und Klingbeil bleibe, sagte die Parteivorsitzende: "Davon können Sie ausgehen."
Die Bundestagswahl ist für den 28. September 2025 terminiert. Die Grünen bereiten gerade eine komplette personelle Neuaufstellung vor. Eine Entscheidung über die Kanzlerkandidatur wird bis zum Parteitag im November erwartet. Wirtschaftsminister Robert Habeck gilt als konkurrenzlos. Ein schwarz-grünes Bündnis nach der nächsten Wahl gilt angesichts der aktuellen Umfragen als nicht unwahrscheinlich.
Merz gibt FDP keine Chance
Merz erinnerte an die jüngsten FDP-Wahlergebnisse. Die FDP hatte den Einzug in den Brandenburger Landtag erneut verpasst, sie erreichte nur noch 0,8 Prozent. In Thüringen zog die Partei nicht mehr in den Landtag ein (1,1 Prozent). In Sachsen verpasste sie den Einzug in den Landtag erneut, aber mit nur noch 0,9 Prozent. Auch bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg im März nächsten Jahres habe die FDP keine Chance, prognostizierte Merz, dessen Verhältnis zu Lindner einst als fast freundschaftlich galt.
In seiner aktuellen Rundmail an seine Anhänger wirft der CDU-Chef der FDP vor, die Arbeit in der Bundesregierung zu torpedieren und damit auch dem Land zu schaden. Die Partei tue nun wirklich alles, um endlich aus der Koalition herausgeworfen zu werden: "Sie hält sich an nichts mehr, was die Ampelparteien vor knapp drei Jahren gemeinsam vereinbart haben." Merz, dessen CDU einst als ein natürlicher Bündnispartner der FDP galt, kritisierte, die FDP blockiere Anhörungen zu Referentenentwürfen aus SPD-geführten Ministerien und widerspreche im Bundestag Gesetzen, die sie im Kabinett selbst mit beschlossen habe.
CDU auf Wahlkampfkurs
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wies die Kritik als "vollkommen unglaubwürdig" zurück. "Während die Union uns vorwirft, Verantwortung in einer schwierigen Koalition übernommen zu haben, hat sie selbst ein komplett ungeklärtes Verhältnis zu den Grünen", so Djir-Sarai.
Die CDU stimmt sich nun auf einen harten Bundestagswahlkampf ein. Merz zeigte sich in seiner ersten größeren Rede seit seiner Nominierung kämpferisch. "Wir sind fest entschlossen, um kurz nach 18.00 Uhr am 28. September als die dazustehen, die die Bundestagswahl 2025 gewonnen haben", sagte er beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU in Münster. Der CDU-Landeschef, Ministerpräsident Hendrik Wüst, rief die Union auf, sich als "Bollwerk" gegen den Extremismus zu positionieren./bw/DP/men