Mit den Prognosen für 2022 hatten die meisten Finanzinstitute völlig daneben gelegen, daher sind klare Ansagen für 2023 selten. Dennoch: Der Tenor ist positiv.
2. Januar 2023. Frankfurt (Börse Frankfurt). Die meisten dürften froh sein, hinter 2022 einen Haken machen zu können. Denn das abgelaufene Jahr war als Anlagejahr miserabel. Nach zeitweisen Verlusten von über 26 Prozent steht für den DAX zum Jahresende immer noch ein Minus von 12 Prozent. Auch eine breite Aufstellung half wenig: Anleihen verloren teils noch deutlicher: Um satte 22 Prozent ist der Euro-Bund-Future, wichtiger Indikator für langfristige Bundesanleihen, seit Jahresanfang gefallen. Kursgewinner sind rar gesät: Nur einige Rohstoffe und inflationsindexierte Anleihen kamen überhaupt auf eine positive Performance, und der Goldpreis trat mehr oder weniger auf der Stelle.
Was Prognosen für 2023 angeht, zeigen sich Analyst*innen diesmal besonders vorsichtig. Zu viel sei ungewiss: wie tief die Rezession ausfalle und wie sich Ukraine-Krieg, Inflation und Geldpolitik entwickelten. Dennoch herrscht viel Zuversicht: Bei der jährlich stattfindenden Umfrage der FAZ unter 28 Finanzinstituten reichen die DAX-Prognosen diesmal von 13.000 bis 16.000 Punkten, der Durchschnitt liegt bei 15.047 Punkten per Jahresende 2023 – ein Plus von 8 Prozent.
„Schicksalsjahr 2022 nicht eins zu eins auf 2023 übertragen“
„Wir leben zwar in keiner fröhlich bunten Welt, und die uns umgebenden Krisen werden sich nicht schnell in Wohlgefallen auflösen“, bemerkt etwa Robert Halver von der Baader Bank. Es sei aber falsch, „mit Scheuklappen jeden hellen Lichtblick zu ignorieren oder das Schicksalsjahr 2022 eins zu eins auf 2023 zu übertragen“. Es werde zwar ganz sicher kein Wirtschaftswunderjahr. „Aber der dickste Rezessionspullover im Schrank ist auch nicht nötig.“
So signalisierten die ifo-Geschäftserwartungen eine wieder steigende Zuversicht von Unternehmen mit Schwerpunkt Industrie und Export. Auch für China ist Halver tendenziell zuversichtlich. Und wenn die Weltwirtschaft doch in ein tieferes globales Loch falle, sänken die Rohstoffpreise, und die Inflation wäre vorbei. Und würde die US-Konjunktur über Gebühr nachgeben, würde die US-Notenbank wieder Liquidität bereitstellen. „Weil die Erwartungshaltung gering ist, erwachsen bei immer mehr positiven Nachrichten auch immer mehr gute Kurschancen.“
Halver
„Rezessionen häufig gute Einstiegszeitpunkte“
Auch die Commerzbank sieht einiges Positive: „Es gibt wieder Zinsen zu verdienen, und damit gibt es auch mehr Wettbewerb für Aktien und alternative Anlagen wie Immobilien, Infrastruktur und Private Equity.“ Für Aktien sei allerdings in der ersten Jahreshälfte aufgrund der erwarteten Rezession von keinem starken Aufwärtstrend auszugehen – zumal die EZB und die US-Notenbank ihre Leitzinsen noch weiter anheben würden.
Zunächst seien vor allem Nachrichten über enttäuschende Unternehmensgewinne wahrscheinlich, die infolge steigender Zinsen, hoher Kosten und Rezessionssorgen entstünden. Bis zum erwarteten Ende der Leitzinserhöhungen im Frühjahr 2023 rechnet Aktienanalyst Andreas Hürkamp daher mit einer nervösen Marktphase. „Für Anlegerinnen und Anleger ergeben sich daraus auch Chancen, denn Rezessionen waren in der Vergangenheit wegen der niedrigen Bewertung von Aktien häufig gute Einstiegszeitpunkte.“
Helaba-Indikator mit Kaufsignal
Die Helaba sieht den DAX Ende 2023 bei 16.000 Punkten. Die Begründung: ihr Helaba-BEST-Indikator, das steht für Bewertung, Stimmung, Technik, den sie aus den verschiedenen Teilgebieten der Aktienanalyse entwickelt hat, und zwar Fundamentalanalyse, Behavioral Finance und Technische Analyse. Der gebe ein klares Kaufsignal für den DAX. „Die Bewertung ist günstig, die Konjunkturerwartungen sind noch sehr negativ, die Stimmung unter den Anlegern war ausgesprochen pessimistisch, und der DAX mittelfristig technisch überverkauft“, erklärt Analyst Markus Reinwand. Die Bank hatte 16.000 Punkte übrigens schon für 2022 vorhergesagt und war damals in der FAZ-Umfrage am pessimistischsten, lag damit aber am nächsten an der Realität.
Reinwand
Statistik: Zwei Verlustjahre selten
Übrigens sind die befragten Finanzinstitute insgesamt zuversichtlicher für den DAX als für den Dow Jones. Für den US-Index prognostizieren sie 2023 nur einen Anstieg auf 35.068 Punkte, also ein Plus von 5,8 Prozent.
Ebenfalls interessant: Statistisch gesehen sind direkt aufeinanderfolgende Abwärtsjahre für Aktien selten. Seit Schaffung des DAX 1988 fiel der Index nur während der Dotcom-Krise Anfang der 2000er Jahres mehrere Jahre hintereinander. Der S&P 500 zeigte sich laut Bloomberg seit 1928 in nur vier Phasen anhaltend schwach: der großen Depression, dem Zweiten Weltkrieg, der Ölkrise der 1970er Jahre und nach Platzen der Dotcom-Blase. In diesen Fällen waren die S&P-Rückgänge im zweiten Jahr allerdings sogar noch tiefer als im ersten, mit einem durchschnittlichen Verlust von 24 Prozent.
Wichtige Konjunktur- und Wirtschaftstermine der Woche
Montag, 2. Januar
In vielen Ländern findet noch kein Handel statt, etwa in den USA. Großbritannien, China und Japan.
Dienstag, 3. Januar
14.00 Uhr. Deutschland: Verbraucherpreise Dezember.
Mittwoch, 4. Januar
20.00 Uhr. USA: Protokoll der Notenbanksitzung vom 13./14. Dezember.
Freitag, 6. Januar
11.00 Uhr. Verbraucherpreise Eurozone Dezember. Nach Einschätzung der DekaBank ist die Inflation auf 9,6 Prozent zurückgegangen. Das starke Preisminus bei Benzin, Diesel und Heizöl habe dämpfend gewirkt. Der Aufwärtstrend der Lebensmittelpreise habe sich hingegen fortgesetzt. Für die Kernrate rechnen die Analysten mit einem – wenn auch minimalen – Anstieg auf 5,1 Prozent.
14.30 Uhr. USA: Arbeitslosenzahlen Dezember. Eine Abkühlung ist vom Arbeitsmarktbericht im Dezember nicht zu erwarten, meint die DekaBank. Die Anzahl der Beschäftigten dürfte nochmals angestiegen sein.
von: Anna-Maria Borse, 2. Januar 2023, © Deutsche Börse AG
Anna-Maria Borse ist Finanz- und Wirtschaftsredakteurin mit den Schwerpunkten Finanzmarkt/Börse und volkswirtschaftliche Themen.
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