Roger Peeters reflektiert das “in die Jahre gekommene Geschäftsmodell BRD” und skizziert drei Szenarien zum Ausgang der Wahl für Wirtschaft und Wertpapiermärkte.
3. Februar 2025. FRANKFURT (pfp Adisory): In weniger als drei Wochen wählt der Souverän, also das deutsche Volk, ein neues Parlament, und die Demoskopie weist weiter auf einen Regierungswechsel hin. Damit einhergehend könnte es auch zu einer deutlichen Wende in der Wirtschaftspolitik kommen. Und im noch jungen Jahr verstärkt sich der Eindruck, dass die Märkte genau das annehmen bzw. antizipieren. Auch wenn – wie an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt – Standort und Leitindizes nur Schnittmengen haben, aber keinesfalls gleichzusetzen sind: Der sehr schwunghafte Start deutscher Aktien ins Jahr 2025 mit überproportionalen Kursgewinnen im Vergleich zu anderen Regionen kann durchaus so interpretiert werden, dass Investoren darauf spekulieren, dass es in Deutschland wirtschaftlich endlich wieder vorangeht.
Dass dies auch dringend nötig wäre, dokumentieren zwei Ereignisse der Vorwoche eindrucksvoll: Da war zum einen der von über 100 Wirtschaftsverbänden getragenen Protest am „Wirtschaftswarntag“, der eindringlich die Sorgen und Ängste derer zeigt, die Arbeitsplätze bereitstellen (oder auch irgendwann nicht mehr) aufgezeigt hat. Nicht weniger bemerkenswert die Vorlage des Jahresberichts des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Obwohl dieses 147 Seiten lange Dokument alleine wegen des Herausgebers zweifelsfrei nicht der überbordenden Regierungskritik verdächtig ist, liest es sich an vielen Stellen wie ein Offenbarungseid.
Einige Beispiele: Nach zwei Rezessionsjahren erwartet das Ministerium 2025 nur ein Miniwachstum von 0,3 Prozent. Die Arbeitsproduktivität von EU und besonders Deutschland sieht im Vergleich mit den USA jährlich schlechter aus, fiel 2023 sogar zum Vorjahr. Als rohstoffarmes Land sollte Deutschland Wert auf eine gebildete Bevölkerung setzen. Stattdessen beträgt der Anteil der 18-bis 24-jährigen ohne Abitur und Ausbildung mittlerweile 13,1 Prozent, was den EU-Schnitt von 9,5 Prozent also um mehr als ein Drittel übersteigt. Selbst das Ministerium räumt bereits in der Einleitung des Werks ein, dass weniger konjunkturelle, sondern vielmehr strukturelle Ursachen vorliegen.
Nun ist es für den kundigen Beobachter und mittlerweile wohl auch für breite Teile der Bevölkerung keine Überraschung mehr, dass das Geschäftsmodell BRD in die Jahre gekommen ist und dringend generalüberholt gehört. Aber der Druck von außen lässt auch 2025 nicht nach, sondern verstärkt sich eher. China drängt sich in immer mehr industrielle Märkte, in denen europäische Firmen bislang dominant waren und in den USA macht die neue Regierung um Donald Trump das, was von ihr erwartet wurde: gerade aggressive Zollpolitik gegen die engsten Verbündeten einerseits und auch eine konsequente Bekämpfung von Bürokratie andererseits. Bereits zuvor hat in Argentinien der unkonventionelle Regierungschef Javier Milei vorgeführt, wie sich Bürokratie sehr wohl auch wieder reduzieren lässt. Die Konsequenz der beiden weckt bei aller Polarisierung auch in Europa manche Sehnsucht, sich von den Fesseln der Bürokraten zu befreien.
Zurück zum deutschen Wahlkampf: Auch angesichts zuletzt wieder größer gewordener Gräben zwischen möglichen Partnern lautet die berechtigte Frage, ob es für eine Mehrheit reicht, die auch tatsächlich eine Wende in der Wirtschaftspolitik will. Und das sieht in der Tat kritisch aus, wenn die gemiedene AfD auf ein Viertel der Stimmen zusteuert und am Ende wieder recht heterogene Konstellationen entstehen, zumal die „Ampel“ klar die Tücken dieser Zweckbündnisse aufgezeigt hat.
In wenigen Wochen wissen wir mehr, aber stellen wir uns schon jetzt die Frage, was die Märkte daraus machen:
Szenario 1 ist ohne Frage für Wirtschaft und Märkte freundlich. Eine wie immer geartete Koalition erkennt die Misere, adressiert eine „Agenda 2030“ und macht schnell beherzte Vorgaben, um Steuern, Bürokratie und Energiekosten zu senken und Wachstum zu fördern. Sollte dafür in den Verhandlungen die Schuldenbremse fallen und die Mittel auch wirklich investiv genutzt werden, besteht Hoffnung auf Renaissance des Standorts, was auch auf Börsen abstrahlt.
Szenario 2 mit einem „weiter so“ wäre ein echt „brutaler Schlag“ gegen das Unternehmertun und würde die ohnehin schon hohe Kapitalflucht wohl noch mal beschleunigen. Für die Zukunft des Standorts und des Landes insgesamt wahrlich ein gruseliges Szenario. Auf einzelne Unternehmen und deren Aktienkurse abgeleitet ist das Bild differenziert. Sehr binnenorientierte Firmen werden weiter leiden, international ausgerichtete Konzerne wenig tangiert sein und diejenigen, die nun erst recht entschlossen Fertigung ins Ausland verlagern, werden dadurch vielleicht sogar den eigenen Wert erhöhen. Insgesamt ein düsteres Szenario mit vielen Schattierungen bei den Einzelwerten.
Nicht viel angenehmer fände ich persönlich als Szenario 3 eine längere „Hängepartie“ mit einem monatelangen Ringen um Koalitionen und entsprechend unklare Ausrichtungen. Unsicherheit ist nicht nur Gift für Investoren auf dem Parkett. Vielmehr würde ein solches Umfeld auch jedes Unternehmen davon abhalten, Investitionen zu tätigen. In diesem Sinne sollten wir alle hoffen, dass der Ernst der Lage erkannt wird und entschlossene Veränderungen tatkräftig angegangen werden.
Von Roger Peeters, 3. Februar 2025, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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