Sichere Geschäftsmodelle, enorme Wachstumsraten und jetzt wieder erstaunlich günstige Bewertungen: Aktien von Cloud-Anbietern locken aktuell mit einer Top-Kombination, weiß das ETF Magazin.
10. Oktober 2022. MÜNCHEN (ETF Magazin). Sind Sie bereit für eine kleine Geschichtsstunde? Anfang der 2000er-Jahre stand Amazon vor einer großen Herausforderung. Das Weihnachtsgeschäft erforderte von den IT-Systemen Jahr für Jahr mehr als das Zehnfache an Rechenleistung und Speicherkapazität gegenüber dem normalen Tagesgeschäft. Daraufhin machte der Konzern sein Problem zu einer Tugend und stellte ab 2006 das intern entwickelte modulare IT-System unter dem Namen AWS auch externen Kunden gegen eine Gebühr zur Verfügung. Bei Spitzenauslastungen konnte Amazon so die notwendigen IT-Kapazitäten einfach aus der eigenen Cloud beziehen, ohne die Server ansonsten ungenutzt vorhalten zu müssen. Der Rest ist Geschichte. Cloud-Computing hat sich weltweit zum bedeutendsten Trend in der Software- und IT-Branche entwickelt und bescherte aufstrebenden Unternehmen, etablierten Akteuren und ihren jeweiligen Aktionären bisher hohe Gewinne.
Wenn man die aktuellen Aktienkurse betrachtet, sieht die Entwicklung vieler Unternehmen, die sich auf Cloud-Computing-Software konzentrieren, alles andere als rosig aus. Innerhalb eines Jahres hat zum Beispiel der BVP-Nasdaq-Emerging-Cloud- Index, der vor allem aufstrebende Unternehmen aus dem Bereich Cloud-Software umfasst, etwa 40 Prozent seines Wertes verloren. Jetzt liegt die durchschnittliche Bewertung von Cloud-Aktien anhand der Kurs-Umsatz-Verhältnisse so niedrig wie seit drei Jahren nicht mehr. In einem Umfeld steigender Zinsen und hoher Inflation hat der große Tech-Abverkauf der vergangenen Monate auch vor den Cloud-Akteuren nicht haltgemacht. Ist die Luft nach den enormen Kurssprüngen während der Covid-19-Pandemie vielleicht doch raus? Oder könnten sich gerade jetzt hervorragende Chancen ergeben?
Besser als erwartet
Gegen einen langfristigen Bärenmarkt im Cloud-Bereich spricht auf jeden Fall, dass das Wachstum der großen Public-Cloud-Unternehmen keinerlei Anzeichen einer Verlangsamung zeigt. Ganz im Gegenteil. Amazon, Google und Microsoft, die drei größten Anbieter von Public-Cloud-Infrastrukturdiensten, übertrafen mit den Zahlen ihrer Cloud-Sparten zuletzt allesamt die Erwartungen der Analysten. Nur ein Beispiel: Amazons AWS, das Flaggschiff der Cloud-Imperien, steigerte seinen Umsatz im ersten Jahresviertel um satte 37 Prozent auf 18,4 Milliarden US-Dollar. Damit erzielte Amazon mit seiner Cloud-Sparte bereits 67 Milliarden US-Dollar an wiederkehrenden Erlösen innerhalb von nur zwölf Monaten. Microsoft Azure und Google meldeten ebenfalls hervorragende Zahlen.
Ein weiterer Punkt, der die Wachstumsdynamik im Cloud-Bereich belegt, ist die enorme Nachfrage nach Hyperscale-Rechenzentren. Bei Nvidia, dem führenden Anbieter von GPUs für solche Hochleistungs- rechenzentren und KI-Systeme, stieg der Umsatz im relevanten Segment im Jahresvergleich sogar um 83 Prozent. Insgesamt erreichte der Cloud-Markt, von Software über Infrastruktur bis hin zu Plattformen und Rechenzentren, im ersten Quartal 2022 ein Volumen von 126 Milliarden US-Dollar und damit rund 26 Prozent mehr als im Vorjahr.
Auch die grundlegenden Treiber hinter dem Trend sind weiterhin intakt. Im gegenwärtigen unsicheren makroökonomischen Umfeld dürften die Kostenvorteile von Cloud-Diensten sogar noch relevanter werden. „Die Umstellung auf die Cloud hat sich in den letzten zwei Jahren beschleunigt, da Unternehmen auf eine neue geschäftliche und soziale Dynamik reagierten“, sagte Michael Warrilow vom US-Marktforschungsunternehmen Gartner. Technologie- und Serviceanbieter, die nicht in die Cloud gingen, sähen sich zunehmend dem Risiko ausgesetzt, obsolet zu werden, berichtet der Experte. Eine Umfrage unter IT-Führungskräften belegt seine Aussage: Rund 57 Prozent der Entscheider gaben an, dass der Umstieg auf Cloud-Lösungen eine ihrer wichtigsten strategischen Initiativen sei. Experten erwarten daher, dass Cloud-Lösungen bis 2025 bei Unternehmenssoftware einen Anteil von mehr als 50 Prozent ausmachen werden und dass dieser Anteil bis 2030 sogar auf mehr als 80 Prozent steigen kann.
Struktureller Wandel
Zusätzlicher Katalysator für den Cloud-Sektor dürften Trends wie hybrider Unterricht, Online-Lerndienste sowie der Boom bei Streaming-Diensten und das Metaverse werden. So gut wie alle neuen Technologien im IT-Bereich sind auf Cloud-Lösungen angewiesen. Auch im Wachstumsmarkt Cybersicherheit kommt heute niemand mehr an der Cloud vorbei. Sie macht das Sammeln, Speichern und Verarbeiten von großen Datenmengen mit künstlicher Intelligenz deutlich einfacher und ermöglicht so die schnellere Analyse potenzieller Gefahren. Zudem werden digitale Lösungen dank der Cloud sicherer – zum Beispiel durch Back-ups auf externen Cloud-Servern. Entsprechend steigen auch hier die Investitionen stark. Google Cloud hat erst kürzlich angekündigt, Mandiant, ein Cybersicherheitsunternehmen, für 5,4 Milliarden US-Dollar übernehmen zu wollen.
Cloud-Computing ist längst nicht mehr nur ein Trend. Hinter dem Begriff versteckt sich der größte strukturelle Wandel in der IT-Branche der letzten Jahrzehnte. Aber wie groß ist das Potenzial in der Wolke in Zahlen? Experten schätzen das mögliche globale Marktvolumen für Cloud-Infrastruktur, Dienste und Software insgesamt auf rund vier Billionen Dollar. Mit den voraussichtlich fast 500 Milliarden US-Dollar, die in diesem Jahr für Cloud-Anwendungen ausgegeben werden, wird das Marktpotenzial demnach zu weniger als 15 Prozent genutzt. Das lässt reichlich Spielraum für Wachstum. Die Chancen stehen also gut, dass der Cloud-Markt über die kommenden Jahre hinaus dynamisch wächst und dass Unternehmen weltweit ihre Investitionen in diesem Bereich erhöhen. Mit der aktuellen niedrigen Bewertung auf 3-Jahres-Tief bietet sich jetzt für langfristig orientierte Investoren eine sehr gute Gelegenheit zum Einstieg.
HAN-GINS Cloud Technology Equal Weight UCITS ETF - Acc (<IE00BDDRF924>)
Der im Oktober 2018 aufgelegte ETF will mit 75 gleichgewichteten Aktien den kompletten Cloud-Markt abbilden und umfasst Unternehmen aus den Bereichen Software as a Service, Platform as a Service und Infrastructure as a Service. Als Basis dient der Solactive-Cloud-Technology-Index. Die Titel des 19 Millionen Euro schweren Fonds werden außerdem nach ESG-Kriterien gefiltert.
Immerhin 12,3 Prozent des Fondsvermögens stecken aktuell in chinesischen Cloud-Konzernen, beispielsweise Ming Yuan Cloud. Das Unternehmen bietet Cloud-Lösungen für Bauträger und andere Unternehmen aus dem Immobilienbereich an, unter anderem Software und IT-Infrastruktur für die Beschaffung, das Kostenmanagement und die Verwaltung von Immobilien. Ebenfalls unter den Top-Positionen des ETF-Portfolios findet sich Snowflake. Der US-Anbieter führt Daten aus verschiedenen Datenbanken zusammen und ermöglicht eine Analyse in Echtzeit. Snowflake, das 2020 einen spektakulären Börsengang hinlegte, betreibt selbst keine Rechenzentren, sondern nutzt Speicher von Amazon, Microsoft oder Google.
Global X Cloud Computing UCITS ETF (IE00BMH5YF48)
Dieser ETF der US-Gesellschaft Global X bietet Zugang zu aktuell 35 Unternehmen, die einerseits direkt im Cloud-Geschäft tätig sind, andererseits können im Index auch Unternehmen enthalten sein, die beispielsweise Immobilien oder Kühl- und Stromsysteme zur Betreibung von Rechenzentren bereitstellen oder die dafür nötige Hardware herstellen.
Neben Cloud-Klassikern wie Salesforce, Netflix, Zoom oder Dropbox gehört DigitalOcean Holdings zu den größten Investments des ETF. Das Unternehmen bietet Infrastruktur- und Plattformanwendungen für kleine und mittelständische Unternehmen. Der Kurs dieser Aktie ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Analysten erwarten allerdings noch deutlich mehr. Nicht zuletzt, da die jüngsten Quartalszahlen selbst hohe Erwartungen deutlich übertroffen haben. Der ETF bildet den Indxx-Global-Cloud-Computing-Index ab, in dem chinesische Aktien so gut wie gar nicht vertreten sind (1,85 Prozent Anteil). Stattdessen finden sich in Index und ETF vor allem Aktien aus den Vereinigten Staaten sowie aus Israel und Kanada.
WisdomTree Cloud Computing UCITS ETF - USD Acc (IE00BJGWQN72)
Der Wisdom-Tree-Cloud-Computing-ETF zählt mit zu den bekanntesten und größten Themen-ETFs der Cloud-Branche. Er bildet den BVP-Nasdaq-Emerging-Cloud-Index ab, der von den Technologiemarkt-Spezialisten Nasdaq und der Beteiligungsgesellschaft Bessemer Venture Partners entwickelt wurde.
Unter den rund 50 Aktien im ETF finden sich Unternehmen wie Paylocity, ein Anbieter von cloudbasierten Software-Lösungen für die Gehaltsabrechnungen, oder Definitive Healthcare, das Cloud-Ökosysteme und Dienstleistungen aus den Bereichen Datenanalyse und künstliche Intelligenz für das Gesundheitswesen bereitstellt. Aber auch Cybersecurity-Unternehmen wie Qualys oder CrowdStrike sind im Fonds enthalten. Ziel des ETF ist es, mit einer globalen Aktienauswahl gezielt die Performance von Unternehmen abzubilden, deren Kerngeschäft im Angebot von businessorientierter Cloud-Software und Dienstleistungen besteht. ESG-Kriterien spielen bei der Aktienauswahl ebenfalls eine Rolle. Die jährlichen Kosten für Anleger belaufen sich auf 0,4 Prozent.
First Trust Cloud Computing UCITS ETF (IE00BFD2H405)
Zu den größten der maximal 80 Positionen in diesem Indexfonds zählen die Klassiker Microsoft, Amazon, Alphabet und Oracle. Hier dominieren also große Tech-Konzerne, für die das Business mit der Datenwolke nur eine von vielen Ertragsquellen ist. Allerdings werden die Unternehmen im ETF anhand eines Punktesystems entsprechend ihrer Cloud-Exposure gewichtet.
So hat es auch der aufstrebende Datenbankspezialist MongoDB in das ETF-Portfolio geschafft. Obwohl das Unternehmen direkt mit den Tech-Giganten um Marktanteile kämpfen muss, kann sich die bisherige Wachstumsstory mehr als sehen lassen. Für 2023 hat MongoDB jüngst sogar seine Prognosen erhöht und erwartet erstmals Umsätze von über einer Milliarde Dollar. Daneben befindet sich auch der US-Netzwerktechnik-Hersteller Arista im Portfolio. Arista liefert Komponenten für die Hochleistungscomputer in den Rechenzentren der meisten großen Cloud-Anbieter. Mit einer Beteiligung an SAP ist dieser ETF übrigens der Einzige, in dem ein deutsches Unternehmen vorkommt. Mit Kosten von 0,6 Prozent ist er leider auch der teuerste.
von Michael Pfeiffer, 10. Oktober 2022, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
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