Es gehört zur Analysten-Folklore, im Vorfeld politischer Wahlen in den USA Aktien-Rennlisten aufzustellen. Welche Unternehmen profitieren vom Wahlsieg des einen Kandidaten, welche vom Wahlsieg des anderen? Das ist auch bei der anstehenden US-Präsidentschaftswahl der Fall. Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor wägt das Für und Wider derartiger Rennlisten ab.
4. November 2024. FRANKFURT (envestor). Etliche Brokerhäuser habe ihre „Harris-“ und „Trump“-Favoritenlisten veröffentlicht. Welche Unternehmen würden von einer Fortsetzung von „Bidenomics“ profiteren, welche von einem Trumpschen Zoll-Regime? Ist es eine gute Idee, derartige Rennlisten im Portfolio abzubilden? Zunächst schreit der Skeptiker in mir: „Taktisches Trading! Nein, nein, nein, don't do it!“ Dieser Reflex ist vertretbar, nicht unbedingt, weil politische Börsen kurze Beine haben, sondern weil Rennlisten den Charakter von Pferdewetten haben. Wer darauf einsteigt, der zockt, und das spricht nicht für gute Anlegerrenditen. Zocker sind auf kurzfristige Gewinne aus, und das klappt oft nicht, weil die Richtung von Aktienkursen kurzfristig nicht seriös prognostizierbar ist. Wenn Brokerhäuser einzelne „Trump-“ und „Harris-“ Aktien empfehlen, handeln sie mit Zitronen. Schlimmstenfalls tauschen Anleger Fonds oder ETFs, in die sie eigentlich langfristig investieren wollten, gegen dubiose Wetten ein.
Andererseits habe ich bei der Durchsicht der Rennlisten festgestellt, dass es sich überwiegend um breit streuende Aktienkörbe handelt. Wer nicht gerade auf Kryptos setzt und nicht auf obskuren Online-Wettplattformen an der Kandidaten-Lotterie teilnimmt, wird sich voraussichtlich nicht um Haus und Hof spekulieren. Denn bei den meisten Empfehlungslisten handelt es sich um Standardwerte, die in marktbreiten Indizes wie dem S&P 500 oder MSCI USA enthalten sind. Wer bisher nicht in Aktien investiert war und anlässlich der US-Wahl einen breit diversifizierten Aktienkorb kauft, wird langfristig nicht falsch liegen damit. In Summe würde ich die Frage der Aktien-Rennlisten als harmlose Spielerei ansehen.
Nichts Spielerisches hat allerdings die aktuelle Lage am Rentenmarkt. Die Renditen von US-Anleihen sind in den vergangenen Wochen um über 0,6 Punkte gestiegen. Das ist eine Korrektur. Anleger befürchten offenbar, dass beide Kandidaten eine rücksichtslose Fiskalpolitik betreiben würden. Sowohl eine Trump- als auch eine Harris-Regierung würden zu steigenden Staatsdefiziten führen. Diese noch diffusen Sorgen könnten irgendwann die Vertrauenswürdigkeit von US-Staatsanleihen als sicherer Hafen infrage stellen. Dies ist ein Szenario, das man sich nicht ausmalen mag - und gegen das Aktien-Rennlisten harmlose Spinnereien sind.
Von Ali Masarwah, 4. November 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
Uhrzeit | Titel |
---|