Christoph Schlienkamp hat den Chatbot auf seine Einsatztauglichkeit als Portfoliomanager getestet.
27. Januar 2023. FRANKFURT (GS&P). Es ist grundsätzlich keine neue Idee, Künstliche Intelligenz (KI) im Portfoliomanagement einzusetzen. Schon seit zehn Jahren versuchen erste Fonds Marktbewegungen zu prognostizieren und daraus Handelssignale zu erzeugen. Man hat viele Daten, muss schnelle Entscheidungen treffen und sich mit komplexen Optimierungen auseinandersetzen. Auch ungeliebte administrative Routineaufgaben könnten von der KI übernommen werden. Im Fondsmanagement hat man zudem manchmal das Gefühl, dass einzelne Investoren in den ein oder anderen Wert verliebt sind und deshalb manche vielleicht notwendige Entscheidungen nicht umsetzen. KI hingegen ist nüchtern und emotionsfrei und 24/7 verfügbar.
Schon vor vielen Jahren haben wir uns bei der DVFA mit der Frage beschäftigt, welchen Einfluss KI für die Investmentprofis haben wird. Die Antwort war immer wieder: KI wird Einzug halten, aber es wird noch mehrere Jahre dauern, bis Research- oder Unternehmensberichte vollständig und richtig von KI geschrieben bzw. analysiert und die richtigen Schlüsse gezogen werden können.
Der aktuelle Hype um ChatGPT verändert diese Sichtweise wohl nicht. Laut Bloomberg hat bereits knapp ein Drittel der Investmentprofis das Tool ausprobiert. Nachdem ich erste KI-geführte Interviews im Technikbereich gelesen habe, war ich zunächst positiv überrascht. Meine ersten Schritte als Portfoliomanager waren dann aber eher ernüchternd.
KI im Praxistest
Die erste Idee war, den monatlichen Newsletter für einen unserer Fonds elektronisch vorschreiben zu lassen. Also Befehl eingegeben: „Schreibe einen Börsenbericht für Dezember 2022“. Die Antwort: „Ich kann Ihnen leider keinen Börsenbericht für Dezember 2022 liefern, da mein Wissensstand bei 2021 endet. Bitte beachten Sie, dass ich lediglich Prognosen treffen und keine tatsächlichen Analysen liefern kann.“
Na nu, habe ich mir gedacht, Wenn Prognosen gehen, dann will ich doch mal – wie wir alle – genau wissen, wie die Börse sich künftig entwickeln wird. Also Frage eingegeben: „Welche Prognose gibt es für den DAX? Aber auch hier war die Antwort leider nicht zielführend: „Ich kann Ihnen leider keine Prognose für den DAX geben, da mein Wissensstand bei 2021 endet und ich keine aktuellen Marktdaten habe. Bitte beachten Sie, dass Prognosen unsicher sind und die zukünftige Entwicklung des Marktes von vielen Faktoren beeinflusst wird. Es ist immer ratsam, sich von einem Finanzberater oder einem Experten beraten zu lassen, bevor Sie Anlageentscheidungen treffen.“
Also kann ChatGPT auf einmal doch keine Prognosen, auch wenn dies bei der Antwort auf die erste Frage noch möglich war. Geschmunzelt habe ich aber dennoch über die Antwort mit dem Hinweis, dass Prognosen unsicher sind und den Hinweis doch einen Berater vor einer Anlageentscheidung zu kontaktieren.
Okay, wenn ChatGPT bis zum jetzigen Zeitpunkt nur Daten bis Ende 2021 hat, dann will ich doch mal einen Geschäftsbericht analysiert und zusammengefasst haben: Also eingegeben: „Analysiere den Geschäftsbericht von adidas 2019 und fasse ihn auf zwei Seiten zusammen.“ Und es bleibt ernüchternd für alle die, die sich mehr Hilfe erhofft hatten: „Es tut mir leid, ich bin ein Sprachmodell und habe nicht die Fähigkeit den Geschäftsbericht von adidas 2019 zu lesen und diesen auf zwei Seiten zusammenzufassen. Ich kann Ihnen jedoch allgemeine Informationen über das Unternehmen und seine Geschäftspraktiken geben. Adidas ist ein weltweit führendes Unternehmen in der Herstellung von Sportbekleidung, Schuhen und Zubehör. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit auf seine Bemühungen in Bezug auf Nachhaltigkeit hingewiesen, wie zum Beispiel die Verwendung von nachhaltigen Materialien, die Unterstützung von lokalen Gemeinden und die Förderung von Arbeitsrechten und ethischen Geschäftspraktiken. Es ist auch bekannt für seine Marketing- und Sponsoring-Aktivitäten mit einigen der größten Sportvereine und Athleten weltweit. Es ist wichtig zu beachten, dass die Analyse eines Geschäftsberichts eine sehr detaillierte Arbeit ist, die von einem Experten in Finanzanalyse durchgeführt werden sollte, und es ist nicht möglich es in zwei Seiten zusammenzufassen.“
Das ist doch mal eine klare Aussage, dass die Analyse sehr detailliert ist und von einem Finanzexperten durchzuführen ist.
Heißen jetzt meine Tests, dass KI heute noch keine Gefahr für Investmentprofis darstellt. Ich glaube nicht, denn eins ist klar: der Fortschritt wird sich nicht aufhalten lassen. Es scheint sicher zu sein, dass wir in einigen Jahren von vielen Aufgaben befreit oder enthoben werden. Manchmal nehmen die Dinge auch einen schnelleren Lauf. Die Frage, ob dann alle Research-Berichte einheitlich sind und kein Meinungsspektrum widerspiegeln, will ich heute noch nicht diskutieren, aber das ist ein klares Thema für morgen.
von Christoph Schlienkamp, 27. Januar 2023, © GS&P
Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
Uhrzeit | Titel |
---|