Während vor einem Jahr noch Minuszinsen beklagt wurden, bieten selbst Bundesanleihen jetzt wieder ansehnliche Renditen. Und Unternehmen müssen für ihre Anleihen deutlich mehr zahlen. Rentenhändler auf dem Parkett freuen sich über die gestiegene Nachfrage.
30. Dezember 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Der vermeintlich sichere Hafen Bundesanleihen war in diesem Jahr alles andere als sicher: Der starke Zinsanstieg hat für kräftige Verluste am Anleihenmarkt gesorgt. Um satte 22 Prozent ist der Euro-Bund-Future, wichtiger Indikator für langfristige Bundesanleihen, seit Jahresanfang gefallen. Damit ist dessen Bilanz noch schlechter als die des DAX, der auf ein Minus von knapp 13 Prozent kommt.
Beides war so nicht erwartet worden: „Die Prognosen für 2022 waren völlig falsch“, bemerkt Rentenhändler Arthur Brunner von der ICF Bank. „Niemand hatte mit einem derartigen Zinsanstieg gerechnet.“ Auch die Geschwindigkeit hat überrascht, wie Gregor Daniel von der Walter Ludwig Wertpapierhandelsbank feststellt: „Über 2,5 Prozentpunkte bei der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen innerhalb nur eines Jahres, das ist schon enorm.“ Tim Oechsner von der Steubing AG weist auch auf die veränderten Korrelationen hin: „Früher kauften Anleger Bundesanleihen als Hedge gegen schwache Aktienmärkte, das funktioniert heute nicht mehr.“
Zeitenwende auch am Anleihemarkt – Nullzinsen seit April 2019
Von minus 0,18 Prozent auf in der Spitze 2,53 Prozent ist die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Laufe des Jahres gestiegen, am letzten Handelstag 2022 sind es 2,46 Prozent. Damit ging die immerhin fast drei Jahre dauernde Ära ohne Zinsen zu Ende. Noch stärker fiel der Anstieg der Rendite von zweijährigen Bundesanleihen aus: Diese kletterte im Laufe des Jahres von minus 0,64 Prozent auf 2,65 Prozent. Auch zum Jahresausklang liegt sie somit über der von zehnjährigen Papieren („inverse Zinskurve“) – was ungewöhnlich ist und als Vorbote einer Rezession gilt.
Auch in den USA sind die Renditen 2022 stark gestiegen, von 1,51 Prozent auf in der Spitze 4,34 Prozent, jetzt sind es immer noch 3,85 Prozent. Wegen der Inflation hatten die Notenbanken weltweit die Leitzinsen kräftig angehoben. In der Eurozone liegt der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft nun bei 2,5 Prozent, in den USA die Federal Funds Rate-Zinsspanne bei 4,25 bis 4,5 Prozent.
„Inflation zu lange kleingeredet“
Oechsner beschreibt das Jahr 2022 als Hin und Her zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite hätten „schlechte“ Nachrichten – also konjunkturskeptische Töne der Notenbanken, schwache wirtschaftliche Daten und eine nachlassende Inflation – Anleger*innen regelmäßig auf eine weniger strenge Geldpolitik hoffen lassen. „Euro-Bund-Future und DAX sind dann gestiegen.“ Auf der anderen Seite hätten „gute“ Nachrichten – konjunkturoptimistische Töne der Notenbanken, starke wirtschaftliche Daten oder eine steigende Inflation – regelmäßig eine noch straffere Geldpolitik befürchten lassen. „Euro-Bund-Future und DAX sind dann gefallen.“
Von den Händlern auf dem Parkett kommt auch einiges an Kritik an den Notenbanken. „Sie haben die Inflation zu lange kleingeredet“, meint Brunner. „Jetzt müssen sie ein hohes Tempo einlegen, um das wieder gutzumachen.“ Auch Daniel sieht die lange expansive Geldpolitik negativ, nun müssten sich die Notenbanker die Kritik schon gefallen lassen. Einen Vorteil sieht er aber: „„Die Zeit der Marktmanipulation durch die Europäische Zentralbank ist erst einmal vorbei.“
Wieder Alternativen zu Aktien
Nach Einschätzung von Brunner haben die Kursverluste vor allem professionelle Investoren getroffen. „Welche Privatanleger haben sich auf dem Null- und Niedrigzinsniveau schon Anleihen ins Portfolio gelegt?“, fragt er. Dafür komme, wer nun neu einsteigen wolle, in den Genuss höherer Zinsen. „Privatanleger haben jetzt wieder Alternativen zu Aktien, selbst in Form von Bundesanleihen.“
Im Rentenhandel an der Frankfurter Börse hat sich das bemerkbar gemacht: „Wir sehen wegen der attraktiveren Zinsen wieder mehr Interesse von Privatanlegern“, berichtet Rainer Petz von Oddo Seydler. „Den Umsätzen hat das gut getan.“ Wie Brunner ergänzt, liegt der Schwerpunkt auf Laufzeiten von zwei bis fünf Jahren. „Außerdem sind vor allem Investment Grade-Anleihen gefragt.“ Gut an kamen in den vergangenen Monaten zum Beispiel Bonds von großen Unternehmen wie Deutsche Telekom (XS1828032786) oder VW (<XS1893631330>, XS2152061904), Fresenius Medical Care (XS2530444624) und BMW (<XS1548436473>), aber auch – immer wieder – Papiere von Grenke (<XS1910851242>).
Mittelstandsanleihen: Spreu trennt sich vom Weizen
Leittragende waren Mittelstandsanleihen, die zeitweise kaum Käufer*innen fanden. „Insgesamt haben sich Mittelstandsanleihen aber gut gehalten“, erklärt Brunner, der in seinem Zuständigkeitsbereich keinen Ausfall zu verschmerzen hat. Einige Anleihen zeigten sich auch sehr stabil und werden über Pari oder knapp darunter gehandelt: etwa die noch relativ neue Anleihe von Katjesgreenfood mit 8 Prozent bis 2027 (DE000A30V3F1) sowie Papiere von Karlsberg Brauerei mit 4,25 Prozent bis 2025 (<DE000A254UR5>), Semper idem Underberg mit 5,5 Prozent bis 2028 (DE000A30VMF2) und PNE 5 Prozent bis 2027 (DE000A30VJW3).
Kräftig an Wert verloren gleich zu Anfang des Ukraine-Krieges Ekosem-Agrar-Anleihen (<DE000A2YNR08>, DE000A1R0RZ5), Hintergrund waren die Sanktionen gegen Russland. Im Mai stimmten Gläubiger einer umfassenden Restrukturierung inklusive reduzierten Verzinsung und Verlängerung zu. Für eine böse Überraschung sorgte die Metalcorp Group. Das Rohstoffunternehmen hatte Anfang Oktober völlig unerwartet eingeräumt, die am 2. Oktober fällige Anleihe (<DE000A19MDV0>) nicht zurückzahlen zu können. „Da wurde viel Vertrauen zerstört“, kommentierte Petz damals. Die anderen Metalcorp-Anleihen (<DE000A3KRAP3 >) verloren ebenfalls deutlich. Zu einer Umstrukturierung und Laufzeitverlängerung kam es auch im Fall des kriselnden Autozulieferers Paragon (DE000A2GSB86).
Der 2013 aufgelegte Deutsche Mittelstandsanleihen Fonds (LU0974225590) kommt seit Jahresanfang auf ein Minus von 15 Prozent. Dem Emittenten zufolge erhielten Anleger seit Auflage aber eine jährliche Ausschüttungs-Rendite von über 4 Prozent bezogen auf den jeweiligen Anteilspreis zu Jahresbeginn.
Immobilienbranche angeschlagen
Klar zugesetzt hat das Jahr zudem Immobilienanleihen. Vor allem Adler kam nicht aus den Schlagzeilen, Papiere von Adler Group und Adler Real Estate verloren deutlich. Wie es weitergeht, ist immer noch unklar. Ebenfalls Kursverluste gab es bei DIC Asset (XS2388910270), ERWE Immobilien (DE000A255D05), Accentro Real Estate (DE000A254YS5) und vor allem Corestate (DE000A19YDA9); im letzteren Fall kam es zu einer Restrukturierung. „Vorboten der Immobilienkorrektur waren vergangenes Jahr schon in China sichtbar mit den Turbulenzen um die Evergrande Group, Fantasia und Country Garden”, bemerkt Daniel.
von: Anna-Maria Borse, 30. Dezember 2022, © Deutsche Börse AG