Dass breit gestreute Portfolios das Anlagerisiko reduzieren, gilt als Mantra bei der Geldanlage. Viele berücksichtigen das Prinzip der Diversifikation in ihren Portfolios. Allerdings gibt es gleich mehrere Haken und Ösen, merkt Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters Envestor, in seiner Kolumne an.
24. März 2025. FRANKFURT (envestor): Risiken durch die Streuung der Gelder auf verschiedene Anlageklassen zu minimieren, ist nicht nur das Mantra der Finanzwissenschaft, sondern auch das Motto vieler Anlegerinnen und Anleger in der Praxis. Die zentrale Annahme: Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Vermögenswerten ist niedrig, was das Gesamtportfolio-Risiko senkt. Griffige Merksprüche gibt es dazu – Diversifikation sei der einzige „Free Lunch“, den man beim Investieren erwarten kann. Auch wir heben die Vorzüge der Diversifikation in unseren Publikationen hervor. Allerdings gibt es Tücken zu beachten. Dafür haben wir eine Korrelationsmatrix über einen Zeitraum von knapp zehn Jahren erstellt und eine für das Jahr 2022. Betrachtet haben wir Aktien Welt, Aktien Europa, Anleihen Deutschland, Anleihen Euro, Bitcoin, Gold und Rohstoffe. Einige Überlegungen:
Langfristige Korrelationen: Ein stabiler Rahmen mit klaren Mustern
Langfristig sind die Beziehungen zwischen den Anlageklassen wenig überraschend und überwiegend erwartbar bis erfreulich. Es wurde viel über die längerfristige Outperformance des MSCI World Index gegenüber Europa-Aktien (MSCI Europe) geschrieben. Dennoch ist die Korrelation mit 0,81 zwischen europäischen Aktien und globalen Aktien hoch. Diese enge Verbindung zeigt, dass geografische Diversifikation innerhalb des Aktienmarktes auf der Risikoseite begrenzte Vorteile bietet.
Anders sieht es beim Vergleich zwischen Aktien und Anleihen aus. Dabei ist es egal, ob man deutsche Renten (REXP) oder den breiter gefassten Bloomberg Euro Aggregate Bond Index verwendet. Die Korrelationen von 0,10 bzw. 0,19 mit dem MSCI World sind niedrig – wenn auch nicht perfekt. Wer europäische Aktien zum Maßstab nimmt, wird allerdings eine bessere Diversifikation mit deutschen Anleihen als mit europäischen erzielen.
Spannend sieht es bei den drei Assets Gold, Bitcoin und Rohstoffen aus. Während Gold und Bitcoin Aktienrisiken in der letzten Dekade gut ausbalanciert haben, waren Rohstoffe mit dem MSCI World enger korreliert, als es Anleger mutmaßlich erwarten. Hier ist der Diversifikationsnutzen begrenzt. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich: Breit diversifizierte Rohstoffkörbe beinhalten zu einem großen Teil Energie und Industriemetalle. Diese hängen vom Verlauf der Weltwirtschaft ab, der wiederum die Aktienfieberkurve prägt. Bleiben Gold und Bitcoin, die sehr niedrige Korrelationen zu Aktien Welt und Aktien Europa aufweisen.
So weit, so gut. Allerdings ist die Sache dann doch nicht ganz so einfach, wie das Jahr 2022 zeigt.
Korrelationen im Jahr 2022: Ein Jahr der Umbrüche
Die Korrelationsmatrix für das Jahr 2022 zeigt signifikante Veränderungen im Vergleich zur langfristigen Betrachtung. Die Korrelation zwischen globalen und europäischen Aktien sinkt auf 0,65. Dies geht auf die unterschiedlichen Verläufe der Erholung nach der COVID-19-Pandemie oder auf die unterschiedliche Betroffenheit europäischer und globaler/amerikanischer Aktien durch den Ukrainekrieg und die Energiekrise zurück.
Zugleich glich sich das Verhalten von Aktien und Anleihen an. Der MSCI World und der Bloomberg Euro Aggregate Bond Index wiesen in 2022 eine Korrelation von 0,42 auf. Dies spiegelt die Auswirkungen steigender Zinsen wider, die sowohl Aktien als auch Anleihen auf Talfahrt schickten. Auch der Glanz von Bitcoin ging zu einem Teil verloren. Anleger haben das vermeintliche „digitale Gold“ also eher als Risiko-Asset denn als sicheren Hafen verstanden. Bedenkt man, dass die Krypto-Branche ab 2021 von etlichen Skandalen erschüttert wurde, verwundert dies nicht. Gold und Rohstoffe erwiesen sich indes als beachtliche Stabilitätsanker.
Möglichkeiten und Grenzen diversifizierter Portfolios
Die Diversifikation bietet zahlreiche Vorteile. Eine der wichtigsten ist die Risikominderung durch den niedrigen Zusammenhang zwischen verschiedenen Anlageklassen. Langfristig können Anleihen, Gold und möglicherweise auch Bitcoin das Risiko eines Aktienportfolios reduzieren. Doch die Sache hat Grenzen. Das Jahr 2022 hat erneut bestätigt, dass man den Segen der Diversifikation nicht zwingend auch dann erhält, wenn man ihn am dringendsten benötigt. Systemische Risiken und auch Liquiditätsrisiken können dazu führen, dass alle Anlageklassen in Krisenzeiten stärker miteinander korrelieren – ein Phänomen, das während der Finanzkrise, während der COVID-19-Pandemie und auch beim Inflations-Schub 2022 zu beobachten war. In solchen Fällen verringert sich der Nutzen der Diversifikation erheblich.
Jenseits von Einzelereignissen wie der Covid-Krise, steigender Inflation oder der russischen Invasion der Ukraine müssen Anlegerinnen und Anleger zudem verstehen, wie wetterfühlig ihr Portfolio mit Blick auf den Konjunkturzyklus ist. In einem ausgeprägten inflationären Umfeld, in dem Aktien leiden, haben Rohstoffe und Gold Anlegern traditionell mehr Nutzen gestiftet als Anleihen. Steigen die Preise indes nur moderat, gelten Aktien als guter Inflationsschutz, und auch Bond-Preise können dann stabil bleiben. Dann kann die „Krisenwährung“ Gold weniger Nutzen stiften.
In einem deflationären Umfeld reüssieren Staatsanleihen dagegen, während Aktien unter einer stagnierenden Preisentwicklung leiden. Diese Konstellation gab es über lange Strecken in Europa nach Ende der großen Finanzkrise 2009. Stagflation ist eines der schwierigsten wirtschaftlichen Szenarien fürs Anlegen. Sie kombiniert hohe Inflation mit stagnierendem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Historische Daten zeigen, dass Gold in solchen Phasen außergewöhnlich gut abschneidet, während Aktien und Anleihen gleichermaßen unter Druck geraten. Angesichts der mangelnden Historie hat die Jury noch nicht entschieden, ob Bitcoin in diesen Wirtschaftsphasen ein Asset mit diversifizierender Wirkung ist oder ob Aktienanleger besser mit „Echtgold“ fahren.
Von Ali Masarwah, 24. März 2025, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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