Nach der Pariser Klimakonferenz 2015 rückten Nachhaltigkeitsfonds immer mehr zum Vertriebsrenner der Fondsbranche und ihrer Annexbetriebe auf. Das Nachsehen haben ab 2022 Anleger. Ali Masarwah, Fondsanalyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor, erläutert, warum jetzt ein Reset für Nachhaltigkeits-Investments angesagt ist.
10. Februar 2025. FRANKFURT (envestor). Nachhaltigkeitsfonds kamen 2015, also im Jahr der Pariser Klimakonferenz, verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Das dort verabschiedete Klimaabkommen setzte ambitionierte Ziele: Die globale Erwärmung sollte auf deutlich unter 2°C, möglichst auf 1,5°C gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden. Zudem wurde das Erreichen der Treibhausgasneutralität in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts angestrebt. Ein weiterer Kernpunkt war die Bereitstellung von Finanzmitteln für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.
Eine zentrale Forderung des Abkommens war dabei die Neuausrichtung von Finanzströmen. Artikel 2.1c verlangte explizit, die Finanzströme in Einklang mit den Klimazielen zu bringen. In der Folge kam es zu Selbstverpflichtungen des Finanzsektors. In Deutschland beispielsweise verpflichteten sich führende Finanzakteure, ihre Portfolios an den Pariser Zielen auszurichten und strebten die Messung, Veröffentlichung und Reduktion von portfoliobezogenen Emissionen an. Teil dieser Initiative waren Nachhaltigkeitsfonds. Die Produkte hatten bereits kurz nach der Jahrtausendwende einen ersten Frühling erlebt, blieben aber wegen fehlender gemeinsamer Standards, einer geringen Auswahl und auch angesichts turbulenter Börsen in den Nullerjahren eher ein Randphänomen.
Zweiter Frühling für ESG-Fonds nach 2015
Das änderte sich nach Paris. Bis dahin begriffen die meisten Anleger Investments in Nachhaltigkeitsfonds in erster Linie als Ausdruck ihrer ethischen und normativen Vorstellungen und Präferenzen. Damals galt das Motto: Nachhaltigkeitsfonds investieren in Firmen, die eine überdurchschnittliche Klimabilanz aufweisen, Arbeitnehmerrechte beachten und die Interessen der Aktionäre im Blick haben. Die Frage der Performance war - berechtigterweise - eher eine Nebensache.
Für die meisten Anleger waren ESG-Fonds indes nicht greifbar, da keine Verzahnung von Nachhaltigkeits-Eigenschaften mit den klassischen Finanzkennzahlen stattfand. Wer einen ESG-Schönheitspreis gewinnt, musste nicht zwingend auch eine gute Performance abliefern. Das war für die Fondsbranche unbefriedigend, weil die Erzielung von Rendite nun mal Teil ihrer DNA ist. Was danach folgte, ist Legende. Schnell wandelte sich das Narrativ der Investment-Industrie. Zunächst hieß es, es gebe keinen Beweis, dass ESG-Fonds Performance-Nachteile gegenüber konventionellen Fonds aufwiesen (Das ist umstritten, je nach Marktphase, Anlagestrategie und Zeitzuschnitt fallen die Ergebnisse unterschiedlich aus.).
In der nächsten Vertriebs-Ausbaustufe lautete die Botschaft, ESG-Fonds seien ein Tool für das Risikomanagement (Das ist fraglich, weil bei Fonds das Marktrisiko im Vordergrund steht.). Daraus wurde schlussendlich abgeleitet, dass ESG-Fonds ein Alpha-Potenzial hätten. Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass im Niedrigzinsumfeld Nachhaltigkeitsfonds wegen ihres hohen Anteils an Tech-Aktien outperformten. Dass ESG-Fonds strukturelle Performance-Eigenschaften (in der Fachsprache: Faktoren) zugesprochen wurden, war in der Wissenschaft umstritten, hinderte die Fondsanbieter aber nicht daran, dies zumindest zu suggerieren. Entsprechend kauften Anlegende ESG-Fonds, als gäbe es kein Morgen. Zeitweilig floss die Hälfte aller Neugelder in europäische Fonds in nachhaltig investierende Produkte.
Dann kam 2022 die Inflation. ESG-Fonds gerieten unter die Räder (Stichwort: Clean Energy ETFs), und die Vertriebsträume zerstoben. Seitdem liefern Nachhaltigkeitsfonds eine schwache Performance; Fonds, die den breiten Markt ohne Ausschlüsse abbilden, performen gut. Fonds, die in Hersteller von Waffen, Rohstoff- und Energieförderer investieren, haben seit 2022 ebenfalls unter Berücksichtigung des Risikos eine sehr ansehnliche Rendite erzielt. Unterdessen macht der Vorwurf des Greenwashings Fondsanbietern in den USA und Europa zu schaffen. Weil das die Aufsicht auf den Plan rief, wurden 2023 und 2024 hunderte Fonds von nachhaltig auf konventionell von den Anbietern zurückgestuft. Sogenannte dunkelgrüne Fonds wurden häufig auf „hellgrün" umkategorisiert. Das alles trug nicht zur Beruhigung der Anleger bei. Insbesondere Fonds mit „Impact"-Anspruch wurden – auch wegen ihrer schwachen Performance – 2024 in großem Stil zurückgegeben.
Lehren aus der ESG-Hype-Phase
Was bleibt nach dem Strohfeuer der Jahre 2016 bis 2021? Die Erkenntnis, dass die Fondsbranche durch ungezügeltes Marketing wieder einmal den Bogen überspannt hat. Anleger müssen sich auch vorwerfen lassen, allzu gerne der Mär der Performance-Eigenschaften von ESG geglaubt zu haben. Die Wirkung von ESG-Fonds wurde vollkommen überschätzt, und durch die allzu forsche Verknüpfung von Renditeaussichten und Nachhaltigkeits-Eigenschaften wurde ein erheblicher Flurschaden angerichtet. Auch andere Akteure haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Bisher ist wenig darüber diskutiert worden, dass Anbieter von Nachhaltigkeits-Ratings zugleich als Initiatoren von ESG-Indizes fungierten und damit die Grundlagen für ESG-ETFs schufen. Vermeintlich neutrale Rating-Agenturen avancierten so zu Steigbügelhaltern der Produktanbieter.
Der wichtigste Learning-Effekt für Anleger lautet, dass sie nicht den Anspruch haben sollten, mit ESG-Fonds und -ETFs die Welt zu retten und zugleich reich zu werden. Nachhaltigkeits-Fonds sind Tools, um ethischen Präferenzen Ausdruck zu verleihen. Wenn das zeitweilig mit einer guten Performance korreliert, ist das schön, muss aber nicht nachhaltig so bleiben.
Von Ali Masarwah, 10. Februar 2025, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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