Berichte über Mittelabflüsse und hohe Bewertungsabschläge bringen offene Immobilienfonds erneut in Verruf. Das ist bedauerlich, aber offenbar unvermeidlich, wie ein Vergleich mit Immobilien-Aktien zeigt, schreibt Ali Masarwah, Analyst und CEO des Finanzdienstleisters envestor.
29. Juli 2024. FRANKFURT (envestor). Spätestens seit der Bekanntgabe der hohen Kursverluste beim Fonds „Uniimmo: Wohnen ZBI“ stecken offene Immobilienfonds in der Krise. Der über die Volks- und Raiffeisenbanken vertriebene Fonds musste Ende Juni knapp 17 Prozent seines Vermögens auf einen Schlag abwerten. Ein Tagesverlust von 17 Prozent wäre eher bei einem Neuer-Markt-Fonds im Jahr 2000 zu erwarten gewesen, nicht aber bei Investments, die als risikoarm und solide vermarktet werden. Anleger können das auch erwarten, da diese Fonds regulatorisch zu den sichersten Investmentprodukten zählen – sie befinden sich zumeist in der niedrigsten Risikoklasse SRI 1.
Anlegerinnen und Anleger werden offenbar unruhig, wie die wachsenden Mittelabflüsse zeigen. Sie sind zwar aktuell niedrig, könnten aber wegen der langen Kündigungsfristen von 12 Monaten nur ein Vorbote sein. Ziehen viele Anleger gleichzeitig ihr Geld ab, geraten offene Immobilienfonds in Schwierigkeiten, da sie ihre Immobilien nicht schnell genug verkaufen können. Dann droht den Fonds eine Abwärtsspirale aus Schließungen, Abwertungen und im schlimmsten Fall Liquidierungen. Das geschah bereits mehrmals in der Zeit zwischen 2008 und 2012.
Es gibt viele Ursachen und Aspekte der aktuellen Krise offener Immobilienfonds. Ein Grund, warum diese Produkte immer wieder in die Schieflage geraten, sind die Folgen ihrer Bewertungsmethode, die sich fundamental von der Bewertung von Wertpapierfonds unterscheidet. Das zeigt ein kurzer Vergleich zwischen offenen Immobilienfonds und Immobilien-Aktienfonds. Sie haben die Gemeinsamkeit, dass ihnen Investments in Immobilien zugrunde liegen.
Offene Immobilienfonds investieren direkt in Immobilien. Die Bewertung der Objekte erfolgt durch unabhängige Sachverständige, die regelmäßig den Verkehrswert der Immobilien ermitteln. Diese Bewertungsmethode führt in normalen Marktzeiten zu einer relativ stabilen, aber trägen Performance. Anleger werden vom unmittelbaren Marktgeschehen, das turbulent zugehen kann, abgeschirmt.
Immobilien-Aktienfonds investieren dagegen mittelbar in Immobilien. Anleger erhalten mit diesen Fonds Zugang zu börsennotierten Immobilienunternehmen. Der Wert dieser Fonds ergibt sich täglich, bei Immobilien-Aktien-ETFs mitunter auch sekündlich, aus den Aktienkursen der Firmen, die an der Börse ermittelt werden. Die Kurse sind volatil, weil die Aktien 1:1 auf Marktveränderungen reagieren. Anleger werden bei diesen Fonds auch dem täglichen Lärm ausgesetzt, der Teil des Spiels der Märkte ist. (Mittel- und langfristig spiegeln sich die fundamentalen Entwicklungen der Immobilienmärkte natürlich wider.)
Auch mit Blick auf die Liquidität gibt es wichtige Unterschiede: Geben Anleger viele Anteile an offenen Immobilienfonds zurück, müssen die Fondsmanager recht zügig Immobilien im Portfolio verkaufen. Das kann zu Engpässen führen, da offene Immobilienfonds nur 5 Prozent des Fondsvermögens in liquiden Mitteln halten müssen (sie können auch Kredite aufnehmen, um Anteilsscheinrückgaben zu bewältigen, aber das ist hier nicht das Thema). Immobilien-Aktienfonds und -ETFs sind deutlich liquider, weil der Handel über den Sekundärmarkt läuft. Da die zugrunde liegenden Gesellschaften an der Börse gehandelt werden, ist eine tägliche Rückgabe von Fondsanteilen problemlos möglich – bei ETFs sorgt der Creation-Redemption-Mechanismus für einen reibungslosen Handel. Anleger können im Voraus an den Kursspannen den Verkaufserlös taxieren, der am Folgetag auf ihrem Konto landen wird.
Das führt uns zur Frage: Welche der Bewertungsmethoden ist „besser“? Es kommt zunächst auf die Bedürfnisse der Anlegenden an. Wer ohne den Lärm des Marktgeschehens Zugang zu einem diversifizierten Portfolio von Immobilien erhalten möchte, ist bei offenen Immobilienfonds gut bedient. Wer fünf Jahre und länger in Immobilien investieren möchte, braucht durch zweijährige Haltefristen nicht abgeschreckt zu werden.
Für Immobilien-Aktienfonds und -ETFs spricht, dass ihre Preise eins zu eins das Marktgeschehen reflektieren. Sie geben stets den Wert der Immobiliengesellschaften wieder, die Investorinnen und Investoren ihnen zu diesem Zeitpunkt zubilligen. Immobilien-Aktienfonds bleiben in Krisen handelbar, auch wenn die Inhaber dann unter Umständen hohe Wertverluste bei einem Verkauf in Kauf nehmen müssen, wie im neuen Zinszyklus ab 2022 schmerzlich zu erfahren war.
Leider zeigen die aktuelle Diskussion um Wertberichtigungen beim Fonds von Union Investment und das Rätselraten um Mittelabflüsse, dass die Risiken von offenen Immobilienfonds nur unzureichend vom regulatorischen Risiko-Indikator wiedergegeben werden. Ihre fehlende Marktnähe entpuppt sich derzeit als Nachteil, weil viele in unsicheren Zeiten im Zweifel den direkten Weg zum Ausgang suchen. Im Idealfall mögen offene Immobilienfonds das Bedürfnis vieler nach soliden Immobilien-Investments treffen, aber diese rücken im Krisenfall in den Hintergrund. Der Herdentrieb und offenkundige Fehler im Vertrieb offener Immobilienfonds lassen befürchten, dass Anlegerinnen und Anleger in offenen Immobilienfonds ein heißer Herbst bevorstehen könnte.
Von Ali Masarwah, 29. Juli 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
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