Laut Fondsmanger Christoph Frank erweisen sich DAX-Prognosen häufig als wenig fundiertes Ratespiel. Statistiken zeigen, dass die gängige Methode, den DAX-Stand um 5 bis 15 Prozent zu erhöhen, in über 75 Prozent der Fälle nicht zutrifft. Eine seriöse Einschätzung erfordert daher den Fokus auf langfristige Strategien statt kurzfristiger Vorhersagen.
20. Januar 2025. FRANKFURT (pfp Adisory): Um den Jahreswechsel herum geriet ich in eine kleine verbale Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn von Börsenprognosen. Mein Gesprächspartner war der Meinung, „die Analysten“ hätten doch „sowieso keine Ahnung“, Prognosen seien generell sinnlos und das berüchtigte Spielchen „Wo steht der DAX zum Jahresende?“ sei bloßes Raten. Zu seiner Verblüffung stimmte ich ihm zu – was seine letzte These betrifft. Auch ich halte mich vom alljährlichen Ratespiel, wie viele Punkte beim DAX zu Silvester an der Kurstafel stünden, seit jeher konsequent fern, obwohl mich regelmäßig berufliche und private Anfragen hierzu erreichen.
Ich tue das nicht etwa, weil ich mich vor einer Prognose drücken will, sondern weil ich ehrlich davon überzeugt bin, dass kein einziger Mensch auf diesem Planeten hierzu eine seriöse Einschätzung abgeben kann. Nach meiner mittlerweile rund dreißigjährigen Erfahrung in der Börsenszene gehen die meisten Kapitalmarktexperten, Banker und Analysten in diesem Fall auf die folgende hemdsärmelige Weise vor: ungefähr eine durchschnittliche Jahresrendite auf den aktuellen DAX-Stand draufschlagen, auf eine nicht-krumme Zahl runden, fertig. Diejenigen, die es etwas ernsthafter betreiben, werfen noch einen Blick auf den Chart, um ggf. eine ins Auge stechende Zielmarke, Widerstands- oder Unterstützungszone zu identifizieren, und um zu überprüfen, ob zuletzt eher Hausse oder Baisse herrschte, und gleichen es ggf. mit der „Hausmeinung“ ihres Arbeitgebers ab. Im ersten Fall wählen sie eine etwas optimistischere Zahl (also etwa 10 bis 15 Prozent über dem aktuellen DAX-Stand), im anderen Fall eine etwas pessimistischere (also etwa 5 bis 8 Prozent Plus).
Ist diese Tippregel „aktueller DAX-Stand plus etwa 5 bis 15 Prozent“ eine kluge Vorgehensweise? Wenn Analyst(inn)en ihr Karriererisiko minimieren wollen, würde ich sagen: eher ja als nein. Denn bei einer solchen 0815-Prognose gilt: Landet der DAX tatsächlich in diesem Korridor, sind sie auf jeden Fall bei den „Richtigtippern“ dabei und gelten als fähig. Entwickelt sich der DAX dagegen anders, liegen sie zwar falsch, die Masse aller anderen Analyst(inn)en aber auch. Mit ihrer „Unfähigkeit“ sind die Tipper also nicht allein. Tippen sie dagegen gezielt anders als die Masse, haben sie nur im unwahrscheinlicheren Fall, richtig zu liegen, einen Vorteil gegenüber den anderen, ansonsten aber nicht, da sie ja entweder (auch) daneben liegen oder, was noch schlimmer wäre, als einzige falsch liegen und damit als besonders inkompetent gälten, und das auch noch für jeden sichtbar.
Aber abgesehen von der Minimierung des Karriererisikos ist die Tippregel „aktueller DAX-Stand plus etwa 5 bis 15 Prozent“ objektiv schlecht. Und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil sie historisch betrachtet miserable Ergebnisse lieferte. Seit 1960 hat der DAX und sein (von der Bundesbank) rückberechneter Vorgängerindex nur in etwa 23 Prozent aller Kalenderjahre eine Rendite zwischen +5 Prozent und +15 Prozent gebracht. Seit seiner „echten“ Einführung im Jahr 1988 landete er sogar nur in 6 der 36 Jahre (also zu rund 17 Prozent) innerhalb dieses Korridors. Dagegen generierte er seit 1960 mit circa 32 Prozent Häufigkeit ein Minus – ein Resultat, das Analysten schon berufsbedingt ungern prognostizieren. In bemerkenswerten rund 37 Prozent aller Jahre stieg er um mehr als 15 Prozent, in den restlichen 8 Prozent der Zeiträume bis maximal 5 Prozent.
Diese historische Renditeverteilung ist nicht gerade das, was die meisten Investoren intuitiv erwarten würden. Ich bin überzeugt, dass sie nicht nur meinen Gesprächspartner verblüffen würde, sondern auch die meisten Experten. In Worten: zu etwa einem Drittel ein Minus, zu mehr als einem Drittel eine Rendite über 15 Prozent, und nicht einmal mit einem Viertel Wahrscheinlichkeit die Tippregel-gemäßen 5 bis 15 Prozent Ertrag. Kein Wunder, dass die DAX-Tipper so oft daneben liegen, wenn die Wahrscheinlichkeit eines falschen Tipps bei 77 Prozent seit 1960 und sogar 83 Prozent seit 1988 liegt. Mein Gesprächspartner hat also richtig vermutet bzw. beobachtet: Die Qualität dieser Tipps ist jämmerlich, und sie muss es mit Blick auf die historische Renditeverteilung zwangsläufig sein.
Denn nur weil der mittlere Ertrag des DAX seit 1960 tatsächlich innerhalb dieses Korridors von 5 bis 15 Prozent liegt, heißt das noch lange nicht, dass auch die Mehrheit aller Einzelerträge in ihm landet. Im Gegenteil: Mit 77 Prozent Häufigkeit war das nicht der Fall. Die Trefferquote von 23 Prozent (oder 17 Prozent seit 1988) unterstreicht, wie unsinnig, selbst überschätzend und letztlich auch undankbar es ist, die DAX-Rendite eines einzelnen Jahres auf diese Weise tippen zu wollen.
Von Christoph Frank, 20. Januar 2025, © pfp Advisory
Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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