Börse als Ort der Zusammenkunft – ein geschichtlicher Abriss

200 Jahre Aktienhandel an der Frankfurter Börse


1820 werden an der Frankfurter Börse erstmals Aktien angeboten, vor allem zur Finanzierung großer Infrastrukturprojekte, was die Bürger zunehmend begeistert annehmen. Es beginnt eine Ära mit Aufs und Abs in mehrfacher Hinsicht. Vieles hat sich seitdem dramatisch verändert, vieles ist aber auch gleichgeblieben.

Der 9. September 1585 gilt als Gründungsdatum. Eine Versammlung von Kaufleuten legte einheitliche Wechselkurse fest. Ort: der Messplatz am Römerberg. Gehandelt werden Rohstoffe, Agrarprodukte und Anleihen.

1820 – Beginn des Handels mit Aktien. Die erste Aktie ist die der Österreichischen Nationalbank, heute die Notenbank des Landes. Veröffentlicht werden die Preise in den „Course“-Listen von Journalen z. B. die Oberpostamts-Zeitung. Dividenden werden wöchentlich gezahlt bei Abgabe des Coupons, der Bestandteil der Papieraktie ist.

Finanzierung von Infrastrukturprojekten

1837 – wird ein Leuchtturmprojekt erstmals mit Aktien finanziert, die Taunus-Eisenbahn von Frankfurt nach Wiesbaden. Ein Konsortium unter Führung der beiden Frankfurter Bankhäuser Gebrüder Bethmann und Rothschild gibt Aktien aus, die sofort 40-fach überzeichnet sind.

Der Aktienhandel läuft damals anders ab als heute – zu dieser Zeit wird der Begriff „Präsenzhandel“ geprägt, da jeder Marktteilnehmer physisch anwesend sein muss, um seine Geschäfte zu tätigen. Die Wertpapiere wechseln noch in Papierform die Besitzer und werden vor Ort bar bezahlt, was angesichts der recht großen Summen sehr riskant ist

1843 – wird auf preußischem Gebiet das erste Aktiengesetz verabschiedet. Zuvor musste der König der Umwandlung eines Unternehmens in eine Aktiengesellschaft zustimmen. Zu der Zeit gibt es etwa 450 AGs in Preußen.

Am 4. Dezember 1843 gab sich die Frankfurter Handelskammer eine Börsenordnung, nach der die Börse „eine Versammlung von Handelsleuten, Maklern und anderen Personen zur Erleichterung des Betriebes kaufmännischer Geschäfte aller Art unter der Aufsicht der Handelskammer sein sollte".

Faire Preise und Verhinderung von Kursmanipulationen

1850 – wird der Verein der beeidigten Wechselmakler gegründet, dessen Mitglieder insbesondere Kursmanipulationen aufdecken sollten.

Bis Ende 20. Jahrhunderts ändert sich an der Art des Aktienhandels wenig. Der Handel findet nur physisch statt bei Präsenz der Marktteilnehmer an der Börse. Mit dem Börsengesetz von 1896 werden die Kursmakler amtlich und werden von den Landesregierungen bestellt. Die Preise der Aktien im amtlichen Handel tragen ebenfalls diesen Stempel, heute der EU-regulierte Markt mit Segmenten Prime und General Standard. Der nicht-amtliche Handel findet im Freiverkehr statt, der sich zunächst mutmaßlich vor der Tür im Freien abspielt – heute der Open Market. Erst 2002 werden aus den amtlichen Kursmaklern Skontroführer und 2009 aus den Skontroführern Spezialisten. Der Präsenzhandel mit Anwesenheit von Bankenhändlern vor Ort wird 2011 eingestellt.

Aktie gegen Cash vor Ort

1853 – gehört Frankfurt zu den ersten Börsen, die mit ihrer „Frankfurter Vereins-Kasse“ für eine deutlich kundenfreundlichere Verwahrlösung für Geld und Wertpapiere sorgt: Sie übernimmt fortan das „Kassierergeschäft“, also die Abwicklung von Wertpapiergeschäften – was heute übrigens zu den  Aufgaben der Deutsche Börse-Tochter Clearstream zählt.

Aktien sind dennoch an der Frankfurter Börse zunächst wenig populär, die Markteilnehmer – zugelassene Börsenhändler – und die Anleger, die Bürgergesellschaft der Stadt, bevorzugen Obligationen. Erst langsam, mit dem Fortschreiten der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert nimmt der Aktienhandel an Fahrt auf.

Booms und neue Börsen

Räumlich brachte die zunehmende Bedeutung des Wertpapierhandels in Frankfurt mehrere „Neue Börsen“ mit sich: Umzug vom Haus Braunfels 1843 in ein eigens gebautes Börsengebäude an der Paulskirche und bereits 1879 in das heutige Gebäude der Börse am Börsenplatz 4.

1913 – führt die Frankfurter Zeitung den ersten Index ein, Börsenkennziffer genannt, der auch 20 Prozent Anleihen enthielt. Der erste reine Aktienindex wurde 1922 vom Statistischen Reichsamt eingeführt, mit den drei Branchenindizes Bergbau und Schwerindustrie, verarbeitende Industrie sowie Handel und Verkehr. 

Kriegsanleihen statt freier Aktienhandel

1914 – beginnt die Regierung den Aktienbesitz zurückzudrängen, z.B. durch Verbot der Veröffentlichung von Kurszetteln und Zwangsabgabe ausländischer Aktien. Ziel ist die Sicherung der Finanzierung der Kriegskosten im Ersten Weltkrieg durch Kriegsanleihen.

1919 – ist im Herbst der Auftakt einer Hausse der Aktienkurse, die bis 1923 parallel zur Hyperinflation immer neue Rekorde markiert. Spekuliert wird mit Aktien auf Kredit, bis die Regierung den Banken die Vergabe von Aktienkrediten beschränkt, was zwei Jahre vor dem Schwarzen Freitag in den USA zu einem Crash an den deutschen Börsen führt.

1933 – schränken mit Machtübernahme die Nationalsozialisten den freien Börsenhandel zunehmend ein. Die Börsenaufsicht geht von den Ländern auf das Reich über und die Zahl der Wertpapierbörsen wird von 21 auf 9 verringert. Die NS-Wirtschaftslenkung behindert die Entwicklung des freien Marktes und damit auch den Börsenhandel. Das potenzielle Anlagekapital soll weitgehend nur noch der Kriegswirtschaft zugutekommen.

1948 – kommt nach der Währungsreform auch der Börsenhandel in Fahrt und gewinn in Frankfurt die alte Bedeutung zurück.

1957 – zieht der Börsenhandel am 9. Februar wieder in den Großen Handelssaal des Börsengebäudes.

An der Art, wie der Aktienhandel abläuft, ändert sich sehr lange wenig. Kursmakler vor Ort stehen hinter Schranken – hohen Tischen – und veröffentlichen Preisangebote für die von ihnen betreuten Wertpapier. Eine Aktie hatte nur einen Betreuer, übrigens fast ausschließlich Männer. Es gab an der Frankfurter Börse eine einzige amtliche Kursmaklerin. Vor den Schranken stehen die Händler der Banken und Freimakler, die sowohl im Auftrag von Kunden als auch auf eigene Rechnung agierten. Kauf und Verkauf finden per Zuruf statt, „An Dich, von Dir“ mit den berühmten Handzeichen. Die Kauf- und Verkaufsaufträge werden in das Orderbuch eingetragen. Angestellte der Makler kümmern sich um Weiterleitung und Abrechnung der Aufträge, heute Back-Office genannt. Diese Art des Handels, laut, mit viel Gewimmel und Rennerei, ist heute noch in etlichen Köpfen das Bild des Börsenhandels. Eingestellt wird der Präsenzhandel an der Frankfurter Börse 2011. 

Die digitale Epoche

1969 – beginnt an der Frankfurter Börse die digitale Epoche mit Einführung der EDV-Anlage BÖGA. BÖGA ist die Abkürzung für Börsengeschäftsabwicklung, ein System für Orderroutings und die Notierung von Wertpapieren in ausländischen Währungen.

1987 – löst am 16. September das computergestützte Kursinformationssystem KISS die seit 1964 benutzte Kursanzeigetafel im Börsensaal ab.

1997 - wird am 28. November das vollelektronische Handelssystem Xetra eingeführt und 2011 der Parketthandel auf Xetra umgestellt.

Heute ist Xetra der internationale Referenzmarkt für große deutsche Aktien mit rund 90 Prozent des Handelsvolumens mit für alle offenen Orderbüchern. Der Xetra-Orderbuchumsatz liegt bei rund 5 Milliarden Euro täglich. Der Frankfurter Parketthandel ist Hauptanlaufstelle für kleinere Aktien, ausländische Titel, Fonds und Anleihen sowie Zertifikate und Optionsscheine, die von Spezialisten betreut werden.

Vieles hat sich in 200 Jahren verändert, vieles ist gleich

Die Börse ist weiterhin ein Ort der (digitalen) Zusammenkunft, mit dem Auftrag, Preise für Wertpapiere zu ermitteln und ordnungsgemäßen Handel zu gewährleisten.

Auch die Bedeutung der Aktie besteht weiter: Einerseits erfüllen Aktien die wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe, das Wachstum von Unternehmen zu fördern und sind damit ein Grundpfeiler für Innovationen und Beschäftigung.

Andererseits tragen sie zum Vermögensaufbau von Institutionen und Privatpersonen bei.
Ebenfalls geblieben ist die Faszination, die Aktienhandel und Börsen ausüben – auf Anleger und die ganze Öffentlichkeit.

Von Edda Vogt, September 2020, © Deutsche Börse